In unserer Service-Rubrik „Liebesfragen“ können Sie Dorothea Perkusic unter dem Betreff „Liebesfragen“ Ihre Fragen rund um die Themen „Leben“ und „Liebe“ stellen. Jeder Ratsuchende bekommt von der Einzel- und Paartherapeutin eine persönliche Antwort. Ausgewählte Fragen werden immer montags hier anonymisiert veröffentlicht.
Frage einer Frau: Was ist mit der Rolle der Geliebten?
Auf diese Person wird nie eingegangen. Man findet kaum Literatur oder andere Hilfe. Was ist mit deren Gefühlen oder Gedanken? Die Geliebte muss still und heimlich leiden und sich in der Öffentlichkeit geduckt halten um nicht ins Kreuzfeuer zu gelangen. Es geht immer um die betrogene Ehefrau, dabei wurden zwei Menschen betrogen?
Dorothea Perkusic:
Ich kann Sie gut verstehen, als Geliebte eines verheirateten Mannes stehen Sie im Kreuzfeuer der Gesellschaft. Jedoch ist es so, dass, auch wenn jeder Mensch grundsätzlich lieber vor seiner eigenen Haustür kehren sollte, als mit dem Finger auf andere zu zeigen, Sie auch damit rechnen mussten, dass Ihre Rolle mit Leid verbunden sein wird. Sowohl für Sie selbst als auch für andere.
Als Geliebte begeben Sie sich in genau die Rolle, für die Sie sich entscheiden und gestehen sich vielleicht von Anbeginn an nicht das zu, was Sie sich eigentlich wünschen würden – Verbindlichkeit und dass sich ein Mann voll und ganz zu Ihnen bekennen kann. Wer sich im Vorfeld für Offenheit entscheidet, kann klare Möglichkeiten, Grenzen und Optionen anbieten und Konsequenzen können daraus gezogen werden. Da Sie sich für eine unmittelbare Beziehung zu diesem Mann entschieden haben, müssen Sie damit leben, dass dies nicht ohne Kollateralschaden und Schmerz gehen kann. Betrügen ist nie gut und es ist mit Verletzungen und einem Scherbenhaufen zu rechnen.
Als die Geliebte müssen Sie also nicht still und heimlich leiden. Sie entscheiden sich für die Freuden dieser Liaison, Verführung, Inszenierung und reine „Quality Time“. Allerdings müssen Sie auch das damit verbundene Leid in Kauf nehmen. Gehen Sie diesen Kompromiss ein, bleibt Ihnen nur die Hoffnung, dass es werden wird und der anstrengende Kampf um ihren Platz an der Seite eines gebundenen Mannes. Auch wenn Sie zuerst die Hauptrolle spielen und denken, alles im Griff zu haben, so werden Sie schnell spüren, wie sehr Sie sich in Abhängigkeit von der Entscheidung Ihres Geliebten befinden. Das mag hart klingen, ist aber so.
Es ist eines jeden Menschen freie Entscheidung und eigene Verantwortung. Sie sind am Lügenkonstrukt beteiligt und können sich im Vorfeld dafür oder dagegen entscheiden, was der betrogenen Ehefrau meist nicht möglich ist, da sie erstmal nichts ahnt. Die Rolle der Geliebten ist zu Beginn der Affäre von Hochgefühlen geprägt. Sie ist etwas ganz besonderes für einen Mann und kriegt dies in aller wohltuender Deutlichkeit gespiegelt.
Die beiden sind Verbündete, die ein prickelndes und gefühlt einzigartiges Geheimnis miteinander teilen. Die heimlichen Treffen sind geprägt von knisternden Spannungen und aufregendem Sex, Komplimenten, vertrauensvollen Gesprächen und Offenbarungen über die Dinge, die beide vermissen und die sie sich nun endlich auf völlig einzigartige Weise gegenseitig anvertrauen und geben können.
Die Geliebte erlebt sich lebendig und wie in einem Rausch, trunken von Selbstbestätigung ihrer Einzigartigkeit und Weiblichkeit. Tiefe emotionale Gespräche, die in der Kürze der Treffen als besonders intensiv erlebt werden, genauso wie Nähe. Jeder Moment wird genutzt. Eine Affäre besteht aus Sex und Hormonen, aus Neugier auf das Unbekannte. Dies dominiert zunächst alles, es ist aufregend und wirkt belebend. Geliebte und Geliebter fühlen sich wie auf einer privaten Insel, auf die sie heimlich gemeinsam flüchten, bevor sie sich dann wieder aufs Festland begeben.
Zumindest so lange, bis Bindungsgefühle entstehen, was meist bei der Frau geschieht und die Hoffnungen und Erwartungen sich intensivieren. Damit wird es kompliziert, die Spannung nimmt ab und es wird anstrengend. Als die Geliebte stecken Sie ab da meist unglücklich in der Affäre fest und hoffen beständig bis zu lange und damit nicht selten selbstschädigend auf ein Happy End, welches eher selten eintritt.
Die Überzeugung der Geliebten, dass er irgendwann seine Frau verlässt, ist meist nicht mehr als eine Illusion. Denn mit ihr verbindet er entscheidende Lebensabschnitte, womit die Geliebte so gesehen nicht mithalten kann.
Die Bindung eines Mannes an sein gewohntes und auch geliebtes Umfeld, ist trotz all seiner Krisen, Mängel und Ambivalenzen nicht zu unterschätzen und hat einen hohen Wert. Sie bietet ihm Vertrautheit, Stabilität und Sicherheit. Die Affäre hingegen lebt und profitiert vom Fremden, von der Unsicherheit, der Spannung und der daraus resultierenden Anziehung und Sex. Eine unbefriedigende Sexualität ist insbesondere bei Männern meist der Hauptgrund und bleibt häufig auch dieser, warum sie Außenbeziehungen eingehen und erhalten.
Die Geliebte befindet sich somit nicht in einer Opferrolle. Vielmehr muss sie mit den Konsequenzen ihres Handelns leben und dafür vor sich selbst gerade stehen. Jedoch ist dies leicht gesagt und soll sich nicht nach erhobenem Zeigefinger anhören. Es ist oft so, dass der Geliebten von Seiten des Mannes signalisiert und verbalisiert wird, dass er in seiner Ehe todunglücklich ist und raus will, es ginge nur nicht so einfach weil…, genauso wie es die Geliebte möglicherweise in einer eigenen Beziehung selbst empfindet.
Die Hoffnung wird durch fortwährendes Vertrösten und plausibles Erklären aufrecht gehalten. Im Rausch der Gefühle und Hormone stirbt eben die Hoffnung zuletzt und am Ende haben sich beide dann entweder eher als Sprungbretter gedient, um die eigenen eingefahrenen Beziehungsmuster zu durchbrechen und sich den Themen stellen zu müssen und aufräumen zu können.
Es ist ein Irrglaube, dass die Ehefrau immer langweilig oder doof ist. Affären sind meistens eher Ausdruck einer stagnierenden Beziehung, die aber nicht das Aus bedeuten muss. Die Bezeichnung „Geliebte“ bezeichnet mehr den Status einer Affäre, hat aber in der Realität wenig Bezug zu den echten Gefühlen des Mannes, da diese meist eher aus Lust und Anziehung bestehen.
Hinterfragen Sie Ihren eigenen Wert und worum es Ihnen wirklich geht, was Ihnen wichtig ist. Viele Frauen haben Bindungsängste und scheuen letztlich die Verbindlichkeit oder aber haben Ängste, nichts Besseres zu finden, nicht schön oder gut genug zu sein, ewig allein zu bleiben und suchen daher die Bestätigung in einer Affäre, in der sie sich dann verzetteln.
Wenn der Mann sich für die Geliebte entscheiden würde und dafür bereit wäre alles aufzugeben, so wäre dies der ultimative Beweis für die Einzigartigkeit dieser Verbindung und eine zunächst maximale Aufwertung des Selbstwertes. Eine Beziehung auf einem Lügenkonstrukt zu beginnen sorgt jedoch von Anbeginn an für Misstrauen, auch wenn dieses als solches zunächst nicht aufflammen mag. Doch irgendwann könnte der Punkt kommen, an dem sich eine Geliebte sorgen wird, dass es ihr genauso wie der damals betrogenen Ehefrau gehen könnte.