In unserer Service-Rubrik „Liebesfragen“ können Sie Dorothea Perkusic unter dem Betreff „Liebesfragen“ Ihre Fragen rund um die Themen „Leben“ und „Liebe“ stellen. Jeder Ratsuchende bekommt von der Einzel- und Paartherapeutin eine persönliche Antwort. Ausgewählte Fragen werden immer montags hier anonymisiert veröffentlicht.
Die heutige Frage eines Mannes:
Ich bin homosexuell. Meine Freunde und meine Familie wissen nichts davon. Ich brauche Ihre Hilfe, was soll ich tun?
Dorothea Perkusic:
Als erstes möchte ich Ihnen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken und Ihnen Mut und Vertrauen zusprechen. Es ist unendlich schwer, wenn man sich nicht so zeigen kann wie man ist, nicht zu seinen Gefühlen und Bedürfnissen stehen kann, aus Angst, verurteilt, bewertet oder gar verstossen zu werden. Leider ist es in unserer angeblich so offenen Gesellschaft anscheinend so oft noch immer ein Tabuthema, homosexuell zu sein.
Wir wissen noch immer wenig über die Dunkelziffer jener, die homosexuell sind und sich aus verschiedenen Gründen noch nicht geoutet haben. Ist dieser Schritt doch leider noch viel zu oft von dem Risiko begleitet, ausgegrenzt, beschimpft, bedroht oder gar verstoßen und damit zum Außenseiter zu werden.
Erstmal ein Schock
Mit den ersten homosexuellen Gefühlen tritt, egal in welchem Alter, bei fast jedem erstmal ein Schock ein. Daher ist der erste Schritt zum öffentlichen Coming-Out zunächst der, sich diese Tatsache selbst einzugestehen und sich damit anzunehmen. Soweit sind Sie schon. Zum Glück, denn ansonsten ist die Gefahr groß, ein Leben mit einer falschen und schmerzhaften Identität zu führen. In unserer Gesellschaft gilt Heterosexualität als „normal“, alles andere wir oft sogar erschreckender weise als krank angesehen. Eine Katastrophe für alle Homosexuellen und ein Strudel, aus dem der Ausstieg und die Selbstakzeptanz oftmals unüberwindbar scheint und leider auch manchmal ist. Wenn das Elternhaus und der Freundeskreis an traditionellen Einstellungen festhält umso mehr.
Das Coming-out ist ein Befreiungsschlag und ein notwendiger Schritt in ein selbstbestimmtes, authentisches und erfülltes Leben und Liebesleben – egal in welchem Alter.
Es gibt Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen, um den Schritt dahin zu erleichtern, zu unterstützen und um sich auszutauschen, wie es anderen homosexuellen Männern oder Frauen damit geht oder erging. Es ist wichtig das Gespräch zu suchen, um sich den Rücken stärken zu lassen und an Sicherheit zu gewinnen.
Wie können Sie also vorgehen?
Direkt mit der Tür ins Haus zu fallen, ist eventuell ungünstig. Nachdem Sie so große Bedenken haben, gehe ich davon aus, dass diese berechtigt sind und Sie in einem eher konservativen Elternhaus und Freundes- oder Kulturkreis verankert sind. Da bedarf es etwas Fingerspitzengefühl, denn die Menschen in Ihrem Umfeld könnten von der Tatsache, dass Sie homosexuell sind erstmal schockiert und damit überfordert sein. Möglicherweise bedarf es eines gewissen Verdauungsprozesses für Ihr Umfeld, um mit dieser Neuigkeit umzugehen. Ihre Angst vor diesem Schritt ist leider auch nicht ganz unbegründet. Die Suche nach den Ursachen, lässt viele Eltern oder auch Freunde in ein regelechtes Bewertungs- und Urteilssystem verfallen, das möglicherweise nicht zu Ihren Gunsten ausfällt und mit dem Sie in aller Härte der Konfrontation auch selbst umgehen müssen.
Wenn Ihre Eltern und Freunde nicht versuchen möchten, mit Ihrer Homosexualität umzugehen und diese akzeptieren zu lernen, ist es für Sie besonders schwer. Denn die Tatsache, dass sich Ihre Liebe und Lust gleichgeschlechtlich orientiert ist schließlich unabdingbar und kann und soll nicht rückgängig gemacht werden.
Beratungszentren könnten helfen
Es kann helfen, Ihre Eltern in Beratungszentren mitzunehmen um Ängste oder Vorurteile abzubauen. Vielleicht hilft es Ihnen auch, wenn Sie sich zunächst einem guten Freund anvertrauen um zu erfahren, ob Ihre Ängste vielleicht gar nicht so begründet sind, wie Sie befürchten. So hätten Sie zumindest schonmal eine Vertrauensperson, der Sie sich öffnen können um etwas Halt zu kriegen auf dem oft schwierigen Weg der Identitätsfindung und -akzeptanz.
Abschließend möchte ich Sie ermutigen, mit aller Kraft und Aufrichtigkeit zu sich selbst und Ihrer Identität zu stehen. Selbst wenn dies mit schmerzhaften Verlusten verbunden wäre. Der Preis, dass Sie sich selbst verlieren um in irgendwelche zweifelhaften, vorgegebenen Raster zu passen, beziehungsweise sich versuchsweise passend zu machen, ist zu hoch. Jeder Mensch ist einzigartig und ein jeder hat das volle Recht, zu seiner Individualität zu stehen. Auch Sie! Erst das macht unser Leben bunt und interessant, lebendig und erfüllt. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute auf Ihrem Weg und wünsche Ihnen den Mut und die Kraft, die Sie für die für Sie nötigen Schritte brauchen.