In unserer Service-Rubrik „Liebesfragen“ können Sie Dorothea Perkusic unter dem Betreff „Liebesfragen“ Ihre Fragen rund um die Themen „Leben“ und „Liebe“ stellen. Jeder Ratsuchende bekommt von der Einzel- und Paartherapeutin eine persönliche Antwort. Ausgewählte Fragen werden immer montags hier anonymisiert veröffentlicht.
Die heutige Frage eines Mannes:
Meine Frau und ich sind seit 14 Jahren verheiratet haben ein Kind. Wir führen insgesamt eine glückliche Beziehung und sind gerne beieinander. Wir verstehen uns gut, haben gemeinsame Hobbys und es geht uns gut. Sexuell war es zwischen uns schon immer schwierig. Wir haben Sex miteinander, aber nicht oft und irgendwie bemühen wir uns beide nicht mehr so richtig darum obwohl wir mit der Situation unzufrieden sind und obwohl der Sex wenn wir ihn haben, nicht schlecht ist. Ich kann gar nicht so genau sagen, was es ist. Irgendwie fehlt uns da etwas miteinander. Meine Frau hat vorgeschlagen eine offene Beziehung führen, auch wenn ihr das weh tun wird wie sie sagt. Es ist nicht so, dass ich mir nicht auch ab und zu gut vorstellen könnte mit anderen Frauen Sex zu haben. Aber eigentlich möchte ich das nicht. Ich habe die Befürchtung, dass dadurch etwas kaputt geht. Können Sie uns einen Rat geben?
Dorothea Perkusic:
Wenn ich das so lese entsteht in mir der Eindruck, dass eine offene Beziehung zu führen weniger eine echte und gewünschte Option für Sie beide darstellt, als vielmehr ein verzweifelter Versuch, die Lücke die sexuell zwischen Ihnen klafft zu füllen. In Anbetracht dessen halte ich dieses Vorhaben für gefährlich. Denn Sie würden Ihre Beziehung damit nicht unbedingt bereichern und erfüllter machen, sondern eher unsicherer und verletzlicher, da Sie versuchen damit ein Defizit auszugleichen, das Sie nicht ganz greifen können.
Eine offene Beziehung kann Vor- und Nachteile haben. Wenn das Öffnen der Beziehung nicht für Sie beide eine Bereicherung darstellt, sollten Sie zögerlich und sehr bewusst mit dieser Überlegung umgehen. Denn die Beziehung zu öffnen ist nicht nur eine Möglichkeit zur Rettung, sondern kann der Liebe zwischen Ihnen auch den Todesstoß geben.
Am Beginn einer offenen Beziehung steht eine ausgesprochene Übereinkunft beider Partner, eine Beziehungsform zu leben, die von den gesellschaftlichen Konventionen und den gängigen Beziehungsvorstellungen abweicht. Sich darüber gemeinsam stark hinwegzusetzen, erfordert eben diese Stärke und den beidseitigen Wunsch, beziehungsweise die Überzeugung davon. Dies braucht Mut und vor allem aufrichtiges Vertrauen zueinander. Eine offene Beziehung bedeutet nicht automatisch, dass es leichter oder erfüllter wird.Sie müssen Begriffe und Werte wie Treue, Loyalität, Aufrichtigkeit, Sicherheit, Freiheit und Exklusivität unter Umständen völlig neu für sich definieren und einen klaren Verhaltensradius abstecken. Die Frage ist, wie weit die Definitionen der Gefühle auch tatsächliche Sicherheit bieten. Denn das Risiko, dass einer sich verliebt oder Lust hat mehr Zeit mit einem anderen Liebespartner zu verbringen, wird größer und damit und mit allem anderen unvorhersehbarem müssen Sie umgehen lernen. Sie müssen einen Kernbereich schaffen, der nur Ihnen beiden offen steht. Denn ein bißchen Verbindlichkeit suchen und brauchen wir bei aller gewünschter und Freiheit suggerierender Offenheit alle, um uns wohl, geborgen und sicher zu fühlen.Die Vorstellung einer offenen Beziehung ist in Ihrem Fall noch nicht erfahrungs- sondern wunschgeprägt. Und ich bin mir nicht sicher, ob es sich dabei tatsächlich um den Wunsch nach sexuellen Kontakten mit anderen handelt, oder ob die Idee eher aus der Verzweiflung und dem nicht-weiter-wissen entstand und Sie nicht eigentlich in Ihrem bisherigen Beziehungsmodell fein aufgehoben sind. In eine offene Beziehung müssen Sie beide vom Herzen her einwilligen können. Dann kann es ein Experiment sein, das neue positive Spannung und Freude bringt und Ihren persönlichen Horizont erweitert und darüber zu einer guten Alternative zu dem bisherigen, konventionellen Paarmodell sein kann. Dennoch bitte ich Sie, sich das reiflich zu überlegen, denn der Satz „eigentlich möchte ich das nicht“ schreit förmlich nach Reflexion, nach Vorsicht und Bedacht.
Was also ist Ihr echter Wunsch? Was steht Ihnen in Ihrer gemeinsam erlebten Sexualität im Weg und was genau fehlt Ihnen? Sprechen Sie über Ihre Wünsche und Phantasien? Über Ihre Ängste? Wissen Sie voneinander, was Ihnen gut tut, über das hinaus, was Sie bis jetzt miteinander erlebt haben? Erlauben Sie sich bitte unbedingt, dies nicht nur gemeinsam, detailliert zu hinterfragen sondern ruhig auch ein bisschen tiefer hineinzuspüren. Diese Fragen sollten Sie beantworten können, bevor Sie sich entscheiden. Versuchen Sie mal spielerisch Ihre Sexualität als einen Spiegel Ihrer Beziehung zu betrachten. Was sehen Sie? Und dann entscheiden Sie auf dieser Gesprächs- und Gefühlsgrundlage. Ich wünsche Ihnen alles Gute, Liebe und Freude bei allem was entsteht!